top of page
IMG_20220721_133404.jpg
  • ibahabs

#25 Glaubt man Social Media gibt’s nur noch langweilige Reisedestinationen

"Wirklich? Amerika? Ich meine, ich weiß es nicht. Alle fahren doch nach Amerika!

Die Sache ist die Eine: Es ist natürlich ein wunderschönes Land und es ist immer toll zu reisen. Aber warum genau sollte irgendjemand noch nach Amerika reisen wollen? Es wurde schon zu Tode bereist!". Quasi jede Route findet man mittlerweile viele Male auf Youtube oder auf Reiseberichte auf irgendeiner Webseite.

Wie wäre es dann mit Australien? Hier steht man vor dem gleichen Problem. Ebenso verhält es sich mit Destinationen wie zB. Portugal, Spanien, Südafrika oder Patagonien. Jeder Reisende, der etwas auf sich hält und auf Social Media vertreten ist, war schon einmal dort. Diese Orte sind schon so oft bereist worden und auch wenn man selbst noch nicht dort war, will man doch etwas einzigartiges und neues erleben und hinterher mit anderen teilen.

Um als Reisender also noch etwas zu erleben oder einen Ort zu finden, der noch nicht intensiv bereist wurde, muss dieser Ort schon sehr obskur oder eben sehr abgelegen sein. Wie wäre es mit Trinidad &Tobago oder Surinam? Irgendetwas, das noch nicht als “must go there”oder als „episches“ Abenteuerziel bezeichnet wurde.

Denn seien wir ehrlich: es gibt so viele Orte, die diese Bezeichnung tragen, und die meisten ADV-Magazine, in denen Reisende vorgestellt werden, greifen unweigerlich auf die Klassiker zurück: Patagonien, das südliche Afrika, die Mongolei oder noch profaner: Alaska. In Europa sind es meistens Rumänien oder die Reise zum Nordkap, die als ultimative Herausforderung gehypt werden.

Jedes Jahr gibt es eine neue Reisende, die sich auf den gleichen Weg machen, sich mehr oder weniger den gleichen Herausforderungen stellen und die gleichen Gipfel, unbefestigten Straßen und Dünen fotografieren. In den sozialen Medien werden die gleichen Vor- und Nachteile der einzelnen Routen oder “10 Dinge, die man unbedingt über die Destination XXX wissen muss” videographisch und mit reißerischen Texten mit viel Pathos dargestellt.

„Das Kürbisgewürz-Latte-Abenteuer“

Also was braucht man, um sein Abenteuer als einzigartig deklarieren zu können? Man könnte ja die Motorradreise über Baja mit Surfen oder die Thailandreise mit einem Schweigeseminar in einem buddhistischen Kloster vereinen. Natürlich filmisch dokumentiert.

In den letzten Jahren sind wir von allen Medien und bei allen Veranstaltungen mit „epischen“ und “muss-man-machen“-Reisen überschwemmt worden und haben uns zu sehr an eine neue Normalität gewöhnt. In dieser reicht es nicht mehr, einfach nur zu reisen. Es fühlt sich ein bisschen so an, als wäre es mittlerweile alltäglich nach Ushuaia in Argentinien zu fahren. Und die einzigen Abenteuer, die noch herausstechen, sind wirklich einzigartige Leistungen – wie zB. die gesamte Strecke auf einem Einrad hinter sich zu bringen. Gerade da wir mittlerweile so viele Reisende getroffen haben, die immer und immer wieder dieselben „epischen“ Routen gefahren sind, haben wir öfters das Gefühl, dass diese den Titel nicht mehr wert sind.

Das gilt nicht nur für das sogenannte Abenteuer-Reisen. Sondern auch für die aktuelle Kultur selbst. Heute geht man nicht mehr einfach nur joggen. Man muss sich natürlich auf einen Marathon vorbereiten und dafür braucht es auch die besten Designerkleidungsstücke aus der aktuellen Kollektion. Und obendrein muss alles muss noch für einen „guten Zweck“ sein. Noch vor einem Jahrzehnt wäre ein Abschluss an einer renommierten Universität oder die Gründung eines erfolgreichen Unternehmens als große Errungenschaft angesehen worden. Heute ist das bestenfalls eine Kleinigkeit. Es sei denn, man ist auch zusätzlich noch ein veganer Blogger, Extrem-Bergsteiger und Krypto-Händler, der seinen Morgen um 4 Uhr mit einer Tasse ethisch erzeugtem Kräuter-Chai-Latte beginnt, während er einen Motivations-Workshop gibt und auf seiner Yacht Urlaub macht und Achtsamkeitsübungen mit Surfen und Motorradfahren kombiniert.

Vieles von dem, das früher den Stoff ausmachte, aus dem die Träume sind – zB. eine Reise nach Südamerika oder eine Reise von Europa nach Australien - ist heute so verfügbar und so greifbar geworden, dass man das Gefühl hat, dass diese Dinge einfach nicht mehr ausreichen. Der Druck, etwas Neues zu finden, einen einzigartigen Blickwinkel zu entdecken und etwas Originelles zu schaffen, ist mittlerweile enorm. Das Problem dabei ist, dass Überforderung selten zu etwas Originellem führt, sondern meist nur zu einem schweren Burnout. Dies kann sogar beim Reisen passieren!

Aber eines ist uns auf unserer Reise definitiv bewusst geworden. Es gibt KEIN langweiliges Abenteuerreiseziel - und weder Amerika noch Norwegen sind schon zu Tode erschöpft. Wenn man die Bilder in den sozialen Medien, den Druck, die Erwartungen und die Angst, etwas nicht zu schaffen, wenn man X, Y oder Z noch nicht gemacht hat, beiseite schiebt, wird deutlich, dass das, was vor einem Jahrzehnt galt, auch heute noch zählt: nämlich das Abenteuer selbst! Die Reise selbst. Die schiere Freude, auf einem unbefestigten Weg unterwegs zu sein, sei es in einem Nachbarstaat oder in der Mongolei. Das Wunder eines Sonnenunterganges an einem einsamen Strand, egal wie oft man das Bild schon im Internet gesehen hat. Eine klare Nacht, bei dem nicht nur der Mond, sondern auch die Sterne zu sehen sind. Und auch der kleinste Vogel, den es zwar auch überall zu sehen gibt, aber der gerade jetzt lustig vor uns herumhopst und uns damit zum Lachen bringt!

Und meistens reicht es einfach aus, sich aufs Motorrad zu setzen und loszufahren.



43 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page