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ibahabs

#29 Warum wir von Mexiko enttäuscht wurden und trotzdem 5 Monate blieben


Ibahabs unter der mexikanischen Flage

Ziemlich egal in welcher Gegend wir jemanden erzählt haben, dass uns unsere Reise durch Mexiko führt, wurden wir auf die all die Gefahren, die dort auf uns lauern würden, aufmerksam gemacht.

Auch auf der Homepage des österreichischen, deutschen oder (noch schlimmer) vielen anderen Außenministeriumsseiten liest es sich teilweise, als ob man in ein totales Kriegsgebiet fahren würde und das letzte Stündchen bereits geschlagen hätte.

Überall wird von Fahrten mit dem privaten Fahrzeug abseits von Autobahnen abgeraten und viele Gegenden sollte man überhaupt gänzlich meiden. Es ist die Rede von Überfällen, Morden, Entführungen, Schießereien, Kartellen, Gangs, Korruption und vielen ähnlichen kriminellen Handlungen.

In diesem Artikel wollen wir unsere Erfahrungen von Mexiko zusammenfassen und warum wir maßlos enttäuscht wurden und trotzdem mehr als 5 Monate (unsere Visa waren nur 6 Monate gültig) geblieben sind.


Enttäuschung # 1: Korrupte Behörden

„Bei jeder öffentlichen Stelle, jeder Polizist oder Beamte bis hin zu den normalen Leuten – jeder ist korrupt und betrügt!“

Kurz vor Weihnachten 2022 sind wir von den USA über den Grenzort Tecate nach Mexico eingereist. Um alle unsere Dokumente zu bekommen, mussten wir nach der Grenze unsere Motorräder parken, um nochmals zurück zur Grenze laufen. Die Halbinsel Baja ist eine Sonderzone und normalerweise muss man sich bei Einreise auf dem Landweg mit keinen Grenzformalitäten auseinandersetzen. Es sei denn, man reist weiter aufs Festland. Als zwei unwissende Touristen haben wir gleich mal bereits in der ersten Stunde in Mexiko im absoluten Halteverbot und direkt neben dem einzigen Hydranten (den wir leider übersehen hatten) geparkt. Von der gut gelaunten Polizei gabs dafür eine mehrminütige Belehrung über mexikanische Verkehrsregeln und viele gute Tipps für Kerstin. Andreas war gerade am Grenzposten mit seinen Dokumenten beschäftigt.

So ging es eigentlich durch ganz Mexiko für uns weiter. An fast allen Straßensperren, egal ob von der lokalen Polizei, dem Militär, der Marine oder der Guardia Civil wurden wir meist einfach freundlich durchgewunken. Zwei Mal wurden wir tatsächlich aufgehalten. Beim ersten Mal dauerte die Kontrolle ca. 10 Minuten. In den ersten 2 Minuten zeigte Andreas seine Dokumente her – die von Kerstin waren dann gar nicht mehr interessant. Die anderen 8 Minuten erzählten wir über unsere Reise und zeigten den Polizisten unsere Fotos. Beim zweiten Mal wurden nur deshalb aus dem Verkehr gewunken, da wir mit unserer Ausrüstung auffielen. Die Polizei gratulierte uns zu unserer Schutzausrüstung und war sehr interessiert daran und ein Polizist wollte unbedingt ein Foto von uns gemeinsam.

Ansonsten beschränkten sich die Interaktionen auf ein freundliches Hallo und einmal hatten wir sogar dass Vergnügen, dass ein Soldat uns tanzend anzeigte, dass wir weiterfahren sollten. Wir können nur sagen, dass dieser Soldat sehr beweglich ist und sehr viel Taktgefühl hat!


Enttäuschung # 2: Kartelle

Im Copper Canyon

„Wenn man nach Mexiko reist, dann begegnet man unweigerlich einem Kartell und dann ist man tot oder verschleppt!“ Jegliches Ministerium rät davon ab, Autobahnen und Touristenzentren zu verlassen. Dies sind jedoch genau die Orte, die wir immer versuchen zu vermeiden und uns auch in Mexiko nicht sonderlich gefallen haben. Denn wir wollten ja das „richtige Land“ kennenlernen. Nach etlichen Berichten von anderen Motorradreisenden und Gesprächen mit Einheimischen entschieden wir uns dann zB. durch den Copper Canyon zu fahren (Rückzugsgebiet des Sinaloa-Kartells). Dieser Canyon ist wie der „Grand Canyon“ von Mexiko und ein landschaftliches Wunder.

Das Durchfahren des Canyons ist nur auf einer schlechten Schotterstraße möglich und es gibt auf 160 km auch nur ein Dorf mit rd. 40 Einwohnern. Auf dieser Strecke begegneten wir auch einer Patrouille des Kartells, als wir uns über ein sandiges Stück mühten. Ein freundliches „Hola“ und ein kurzes Winken, dann ein „buon dia“ und alle fuhren weiter. Wir müssen an dieser Stelle auch dazusagen, dass wir weder gefilmt noch fotografiert haben.

Auch in Chiapas wurden wir an einer Straßensperre vom Kartell angehalten. Diese baten uns nur unsere Kameras wegzuräumen und keine Fotos zu machen. Dann erklärten sie uns, dass wir hier nicht durchfahren können und wir drehten um. Keine Drohungen oder sonstigen Forderungen nach Geld.

Straßensperren gibt es nicht nur von staatlicher Seite oder Kartellen, sondern auch von Dorfbewohnern, Schulkindern, Straßenarbeitern, etc. Diese wollen einem jedoch nichts Böses, sondern sperren die Straße meist mit einem Seil und halten einem eine Spendendose unter die Nase. Gesammelt wird für alles Mögliche, zB. Schuluniformen, Straßensanierung oder für bessere Wasserversorgung. Ein Lächeln und ein bestimmtes „no gracias“ und sie ließen uns durch, ohne etwas in die Spendendose zu werfen zu müssen.


Enttäuschung # 3: Essen an Taco-Ständen

Taco-Stand in Ensenada

Man soll es unbedingt vermeiden an lokalen Ständen zu essen. Die hygienischen Bedingungen dort sind schlecht und man wird sich die diversesten Krankheiten einfangen.“ Das wird einem überall geraten und steht auch so in diversen Reiseführern.

Tatsächlich haben wir uns zwei Mal eine ordentliche Magen-Darm-Verstimmung eingefangen. Beide Male jeweils in Restaurants in reinen Touristenzonen. Genau, dort, wo man doch eigentlich hingehen sollte! Wir waren nur selten in Restaurants und haben fast immer von den ‚bösen‘ kleinen Ständen (bei denen alle Einheimischen auch aßen) unser Essen gekauft. Nur, die wollten uns den Gefallen einfach nicht machen, uns krank werden zu lassen.

Übrigens: So viele Bemühungen, wie es bei den Essensständen in ganz Mexiko gibt, um alles hygienisch und sauber zu halten, würden wir uns in den österreichischen Restaurants wünschen. Wir sind auf jeden Fall von der Sauberkeit und Hygiene in diesem Land mehr als beeindruckt. Wir haben des Öfteren gesehen, dass sowohl Boden- als auch Tischflächen mehrmals täglich sauberst geputzt wurden!


Enttäuschung # 4: Mexiko ist intolerant

„Kein Alkohol in der Öffentlichkeit, kein Aufblitzen eines Teils einer weiblichen Brust, Homosexuelle, die sich nicht trauen sich zu outen, und vieles mehr – all dies gäbe es nur im „land of the free“! In Mexiko hat zwar jeder irgendwo ein Heiligenbild oder eine Heiligenfigur baumeln, aber wir mussten unseren gekauften Alkohol nicht mehr in einem braunen Papiersack verstecken oder unser Bier in Thermosbecher umfüllen, um damit vor die Türe gehen zu dürfen. Wir sahen Frauen in Restaurants und öffentlichen Plätzen, die ihre Kinder stillten und das störte absolut niemanden. Den letzten Zweifel an diesem Vorurteil zerstörte ein offen homosexueller Franzose, der bereits vor 20 Jahren von Frankreich nach Mexiko ausgewandert war, weil er sich in den mexikanischen Dörfern sicherer fühlt als daheim. Auch nach ihm trafen wir viele gleichgeschlechtliche Paare, die bestens integriert waren.


Enttäuschung # 5: Mexiko ist technologisch rückständig

QR-Code auf Speisekarte

„Schlechtes Internet, kein Telefonempfang, nur Bargeld – stellt euch darauf ein, dass es ist, wie vor 50 Jahren!“

Mexikanische Sim-Karte gefällig? Die gibt es an jeder Ecke zu kaufen und funktioniert problemlos bereits zwei Minuten später. Telefonverbindung und Internetempfang hatten wir fast im ganzen Land. Nur 3G-Verträge zu bekommen oder tagelang ohne Netzverbindung zu sein, passierte uns in Mexiko nie. In Kanada gibt’s noch offizielle Verträge mit 3G sowie Verträge mit 500 MB um 15 can. Dollar. Tagelang ohne mobiles Internet war in den USA und Kanada keine Seltenheit (und das nicht irgendwo in Alaska!).

Zahlen mit Kreditkarte geht fast in jedem Laden und wenn man etwas kauft und eine Anzahlung geleistet werden muss, muss man in Mexiko gleich wie in Europa nicht seine kompletten Kreditkartendaten inklusive Secure-Code über das Telefon preisgeben. Man bekommt in Mexiko einen Link und kann bei einem von hunderten Shops die Rechnung bezahlen.

Außerdem wissen die Mexikaner wieder, wie man ordnungsgemäß mit Kreditkarten umgeht. Der Kellner geht damit nicht minutenlang spazieren und kein Hotel oder Geschäft speichert alle Daten irgendwo in einer Word-Datei oder einem Dos-Buchungssystem.

Auch was das Benutzen von Apps oder Social Media anbelangt, fühlt man in Mexiko, dass man im digitalen Zeitalter angekommen ist. Für fast alles gibt es Apps, jeder benutzt Whatsapp und auch fast alle Geschäfte machen Werbung auf Facebook und Instagram. Hätte man hier keinen Account, ist man definitiv im falschen Land. Auch hinsichtlich der Selbstverständlichkeit, dass man im Restaurant oder Geschäft einen QR-Code scannt und dann die Speisekarte oder Preisliste lesen kann, waren wir überrascht. Vor allem, da dies nicht nur in den Städten, sondern auch in vielen der kleineren Dörfer Usus ist, zeigt deutlich, wie hoch die Akzeptanz von digitalen Medien ist.


Fazit

Auf alle Fälle können wir eines sagen: UNS hat Mexiko äußerst beeindruckt! Wir dachten zuerst, dass wir uns nicht länger als 3 Monate in Mexiko aufhalten werden. Es sind jedoch am Ende nur 5 geworden, weil wir auf Grund der Regenzeit endlich weiterreisen mussten. Entlang des Weges sind wir außergewöhnlich netten, zuvorkommenden, hilfsbereiten und höflichen Menschen begegnet. Die Landschaft, Kultur, Sprache, Essen ist extrem von Landesteil zu Landsteil unterschiedlich aber überall sehenswert. Wir haben viele Freundschaften geschlossen und hoffen, dass wir sie bald wieder irgendwo treffen können!


All unsere Erfahrrungen sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Mexiko weiterhin viele Probleme gibt. Gerade Korruption, Kartelle, mangelnde Bildung und Gewalt sind auch weiterhin ein großes Problem. Gewalt richtet sich in den meisten Gegenden jedoch nicht gegen Individuen und speziell nicht gegen Touristen. Sie spielt sich hauptsächlich zwischen rivalisierenden Gruppen und staatlichen Einheiten ab. Wenn etwas passiert, trifft eher das Sprichwort zu: „Zur falschen Zeit am falschen Ort“.


Mit Hausverstand, einem Lächeln und Einhaltung einiger Grundregeln kann man sein Risiko jedoch deutlich minimieren.

  • Bei Kontrollen und Interaktionen mit Polizei, Militär oder Kartellen sollte man seine Kameras möglichst schnell wegräumen oder zumindest ausschalten (bzw. ausgeschalten haben). Diese haben alle etwas gegen ungefragte Fotos und können bei dem Versuch relativ schnell aggressiv werden. Straßenblockaden und Checkpoints sieht man meist von weitem und es ist Zeit genug, um am Straßenrand anzuhalten und die Kameras auszuschalten und zu verstauen.

  • Bevor man in gewisse Gebiete reist, ist es ratsam sich mit diesen zu beschäftigten und auch mit der lokalen Bevölkerung sprechen. Es gibt in jeder Gegend genügend nette Personen, die einem ehrlich weiterhelfen. Und wenn einem ernst davon abgeraten wird, in eine Gegend zu fahren, dann sollte man solch einen Ratschlag sich zu Herzen nehmen.

  • Ein paar Wörter in der lokalen Sprache zu lernen ist immer hilfreich. Wenn man sich bemüht, führen Sprach- bzw. grammatikalische Fehler meist zu einem Lächeln beim Gegenüber. Das Bemühen wird einem jedoch hoch angerechnet. Auch Höflichkeit zahlt sich aus – wenn man einen Satz mit: „Entschuldigen Sie, ich habe eine Frage“ beginnt, nehmen sich die Leute mehr Zeit und sind meist geduldiger beim Zuhören!

  • Sich ein wenig mit lokalen Sitten beschäftigen ist nicht nur hilfreich, sondern oft notwendig. Wenn einem 3 Männer mit Macheten am Land in Chiapas begegnen, ist dies kein Grund nervös zu werden. Hier trägt fast jeder eine Machete bei sich, da er sich durch das Unkraut am Weg schlagen muss. Anders jedoch verhält es sich bei 3 Männern mit Macheten in einer Großstadt. Hier sollte man schnell das Weite suchen!


Wir würden jederzeit wieder nach Mexiko reisen und uns nochmals „enttäuschen“ lassen!

Wann hast du dich das letzte Mal „enttäuschen“ lassen?

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